Von Träumen ohne Berge

Das romantisch verklärte Bild zufriedener Nepalesen in kleinen Bergdörfern, die Yaks und Kühe hüten und Reis mit der Sichel ernten, ist heute ferner der Realität denn je. Viel mehr träumen sie von einer Zukunft in der Stadt, um dem beschwerlichen bäuerlichen Dasein des nepalesischen Bergdorfes zu entkommen.

Auf meinen Wegen ringsum den Kanchenjunga, dem dritthöchsten Berg der Erde, habe ich zahlreiche Menschen der unterschiedlichsten Volksstämme porträtiert. Ich möchte sie auf diesen Bildern für einen Augenblick von ihrer Umgebung  lösen und sie einen Schritt aus ihrem Alltag heraustreten lassen.

Tolbhir Limbu (49)

Tolbhir wohnt in Thaphethok und hat zehn Kinder, vier Söhne und sechs Töchter. Er hilft Smaya, die Felder zu bestellen. Sie bauen Mais, Hirse und Kardamom an und verkaufen es auf dem Markt. Sie besitzen rund ein Dutzend Büffel und Kühe.

Sabin Tamang (16)

Seit fünf Jahren beliefert er und sein Bruder Utham den Ort Ghunsa, vor allem mit Salz und Reis. Sabin und Utham haben 15 Maultiere, von denen jedes 50kg tragen kann.

Sanu Maya Rai (30)

Sanu ist verheiratet und hat sechs Kinder. Drei davon sind kurz nach der Geburt gestorben. Sie lebt von der Mais- und Kartoffelernte ihrer Felder und baut außerdem ein wenig Kardamom an.

VON TRÄUMEN MIT BERGEN

von denen die auszogen…

Die Einen wollen weg, die Anderen sehnen sich danach. Für die meisten Nepalesen bedeuten die Berge des Himalaya anstrengenden Alltag ohne Strassen, oftmals ohne Elektrizität, ein Leben voller schwerer Lasten und unwirtlichen klimatischen Bedingungen. Für die Bergsteiger der „westlichenWelt“ sind die Berge Herausforderung, Grenze der eigenen Belastbarkeit, das exotische Neue voller Abenteuer, immer den eigenen Gipfelerfolg im Blick. Die Bilder der Ausstellung „Von Träumen ohne Berge“ zeigen die Realität der Bewohner der Täler rings um den Kanchenjunga. Im Gegensatz dazu stehen die vier beispielhaften Geschichten westlicher Bergsteiger.

Grace (63)

Grace, eine Pensionärin aus Neuseeland, traf Michael Bader in Chitre. Sie wollte dem Great Himalayan Trail durch Nepal folgen und war auf dem Weg zum Ausgangspunkt an der nepalesisch-indischen Grenze. Der Weg verläuft von Osten nach Westen, über zahlreiche Pässe, vorbei an etlichen 8000er Bergen wie Kanchenjunga, Makalu, Manaslu und Annapurna, bis nach Hilsa an der tibetischen Grenze. Dafür wird sie ungefähr

fünf Monate brauchen. Zur Erfüllung ihres Traumes hat sie sich einen Führer und drei Träger gebucht. Die begleiten sie die gesamte Zeit.

Richard (45)

Der hagere Zwei-Meter-Mann koreanischer Abstammung ist in Deutschland geboren und lebt und arbeitet derzeit in Hamburg. Er begegnete Michael Bader in Kambuchen. Richard ist schon seit vielen Jahren auf seinen Himalaya-Touren mit dem gleichen nepalesischen Koch und dessen Trägern unterwegs. Sie kamen gerade vom Basislager des Kanchenjunga. Er sucht auf seinen Reisen das naturnahe Erlebnis, liebt es, den Naturgewalten ausgesetzt zu sein. Ein paar Tage bevor Michael Bader ihn traf, konnte er sich gerade noch rechtzeitig vor einer Steinlawine hinter einen Felsvorsprung retten. Dabei verstauchte er sich den Fuss. Den weiteren Abstieg schaffte er nur noch mit starken Schmerzmitteln.

Oksana (32)

Sie stammt aus dem ukrainischen Odessa. Zusammen mit ihrem Mann, der als Climbing Sherpa die Gruppe anführte, und ihren zwei russischen Begleitern, war sie auf dem Weg ins Basislager des Kanchenjunga.

Nach Makalu, Manaslu und Annapurna sollte dies ihr vierter Achttausender werden. Ihren vierjährigen Sohn hat sie zu Hause bei den Großeltern gelassen. Als dieser acht Monate alt war, verletzte sie sich beim Abstieg vom Makalu schwer. Sie musste mit einem offenen Bruch und schweren Blessuren am Knie ausgeflogen werden. Nach vier langwierigen Operationen steht sie wieder am Berg.

Pablo (29)

Der 29-jährige Spanier wollte mit zwei Freunden in der Nähe des Kanchenjunga einen 6000er besteigen. Sein bester Freund wurde während eines Steinschlags verletzt und lag mit einem offenen Schienbeinbruch immer noch am Berg. Als er Michael Bader begegnete, war er auf der Suche nach einem Satellitentelefon. In einem 24-stündigen Gewaltmarsch war er bis nach Chitre marschiert, um für seinen Freund einen Hubschrauberflug ins Krankenhaus nach Kathmandu zu organisieren. Er arbeitet als Programmierer für das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, im Schweizer Kanton Genf.

Tenzin Sherpa (13)

Er arbeitet seit Kurzem als Träger und transportiert 25 – 40kg auf jeder Tour. Insgesamt hat er die Strecke von Taplejung bis Ghunsa schon fünf Mal zurückgelegt. Konkrete Vorstellungen seiner Zukunft hat er nicht. Er möchte weiter als Träger arbeiten.

Donga Sherpa (20)

Sie hat ihren Mann in Lelep während eines Festes kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Donga ist stolz darauf, dass die Ehe nicht arrangiert wurde, wie es in Nepal immer noch üblich ist. Ihr gemeinsames Kind ist neun Monate alt. Zur Geburt hat sie sich für umgerechnet 2000 US-Dollar mit dem Helikopter nach Kathmandu fliegen lassen. In den ländlichen Regionen Nepals sterben verhältnismäßig viele Kinder während oder kurz nach der Geburt. Um dieses Risiko zu vermeiden, hat die ganze Familie zusammengelegt und ihr die Überführung in die Hauptstadt finanziert. Donga und ihr Mann führen einen Teashop zwei Tagesmärsche von Ghunsa entfernt und träumen von einem eigenen Guesthouse.

Mingma Sherpa (17)

Mingma hat vier Geschwister. Sie und ihre Freundin Pulmaya kommen aus Lewang und gehen noch zur Schule.
Der Job als Trägerinnen ist eine Art Ferienarbeit für sie.

Tenzin Jordan Sherpa (24)

Tenzin ist in Ghunsa gebohren. Er arbeitet als Bergführer für verschiedene Trekking-Agenturen. Sein Vater unterhält gemeinsam mit seinem älteren Bruder ein Guesthouse in Ghunsa. Da er der jüngere Bruder ist, muss er sich eine eigene Zukunftsperspektive aufbauen.

Birbathur Limbu (40)

Der Bauer aus Mamanke lebt vom Hirse-, Kartoffel-, Mais- und Kardamomanbau. Außerdem hat er sechs Kühe. Er verkauft seine Waren in Kebang auf dem Markt. Dort hat er auch seine Frau kennengelernt. Seine fünf Kinder wohnen alle noch in seinem Heimatdorf.

Gerade kommt er von einer Dorfversammlung. Die Bewohner planen den Anschluss an das lokale Stromnetz. Er wünscht sich für seine Kinder die beste Ausbildung und hofft, dass einige vielleicht sogar studieren.

Chungdak Sherpa (45)

Seit 15 Jahren führt sie das Hotel „Everest View“. Ihr Mann ist im Import/Export-Gewerbe tätig. Sie haben fünf Kinder. Eins lebt in Kathmandu, die anderen helfen Chungdak im Hotel und wohnen im Tal. Vor einem Jahr haben sie sich ein Taxi gekauft. Am liebsten kocht sie für ihre Gäste. Sie wünscht sich mehr Touristen in der Region.

Monbadur Limbu (65)

Monbadur baut Reis, Hirse und Kardamom in Yangpan an. Außerdem hat er zwei Büffel und zwei Rinder. Den Hahn auf seinem Arm will er in Phumphe Danda für 850 NPR, rund 6,70€, verkaufen.

Pabitra Dahal (27)

Pabitra ist seit sechs Jahren in der nepalesischen Armee. 2013 wurde sie als Sicherheitsbeauftragte an den Flughafen von Taplejung versetzt.
Sie hat zwei Kinder.

Chatur Kumar Tamang (41)

Chatur ist in einem Dorf in der Nähe von Lukla, in der Khumbu-Region, geboren und aufgewach-sen. Bereits als 12jähriger arbeitete er als Träger verschiedener Expeditionen, heuerte später als Küchenjunge und mit 19 Jahren als Guide an. 2002 verließ er als Jahrgangsbester die Bergführerschule des Himalayan Mountaineering Institute in Darjeeling. Seine Frau kommt aus Odessa. Er hat sie auf einer Trekkingtour in der Langtang-Region kennen-gelernt. Hier ist er auf dem Weg zum Basislager des Kanchenjunga. In einem zweiten Versuch wollen seine Frau und zwei russische Begleiter den dritthöchsten Berg der Erde besteigen. Chatur haben die drei als ihren Bergführer gebucht. Im September dieses Jahres plant er die Besteigung des Manaslu und im nächsten Jahr des Everest auf einer neuen Route. Irgendwann will Chaturs eine eigene Sykrunner Schule in Nepal eröffnen und seinem Heimatdorf ein kleines Krankenhaus stiften.

Dipa Bista (24)

Dipa und ihr Sohn kommen gerade vom Chatray Dashain, einem religiösen Fest der Hindu. Sie hat in Taplejung eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht und möchte in naher Zukunft in Bahrain als Visagistin arbeiten. Flugtickets für ihre dreiköpfige Familie kosten rund 150.000 NPR, ca. 1.180€. Ihr Mann will in Bahrain als Taxifahrer arbeiten und so die Familie ernähren, bis Dipa eine Anstellung bekommt. Im Moment leben sie von der Landwirtschaft, besitzen ein Schwein, einen Büffel und zwei Kühe.

Suk Maya Limbu (60)

Sie ist auf dem Weg ins Tal, um Verwandte zu besuchen. Suk trägt den typischen Nasenschmuck der Limbu. Die Kette um ihren Hals signalisiert, dass sie verheiratet ist. Sie lebt vom Hirse- und Getreideanbau und einigen wenigen Ziegen, Schweinen, Büffeln und Hühnern.

Pema Chetam Lama (76)

Er betreibt seit zehn Jahren einen Teashop auf der Ostseite des Kanchenjunga, zwei Tagesmärsche vor dem Basislager des Berges. Er hat eine Tochter und sieben Söhne. Seine Tochter macht gerade ihr Abitur in Taplejung. Ein Sohn lebt in Yambudin, einer besitzt einen Teashop in Taplejung, einer arbeitet in Korea in der Verpackungsindustrie und sein Ältester als Einzelhändler in Dubai. PC Lama trifft in seinem Teashop Bergsteiger aus aller Herren Länder und liebt es, Geschichten zu erzählen.